Folge 6: Muss der Starttermin verschoben werden?
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Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Norbert Gronau ist Inhaber des Lehrstuhls für Prozesse und Systeme an der Universität Potsdam. Er ist häufiger Key- note Speaker und Gründer der auf Trusted Advisory spezialisierten Potsdam Consulting Advisory GmbH. Zu seinen Kunden zählen Familienunternehmen wie Bahlsen und die Meyer Werft, Konzerne wie Universal Music, Daimler und Lufthansa Technik sowie öffentliche Einrichtungen wie die Landeshauptstadt München und das Land Niedersachsen. Er hat Bücher zu Geschäftsprozessmanagement, ERP und Wissensmanagement verfasst und ist Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften ACATECH. E-Mail advisor@potsdam-consulting.de
Komplexe Reorganisations- oder IT-Projekte werden auf einen bestimmten Starttermin hin geplant. Ab diesem Termin soll die Reorganisation wirksam werden oder das neue Informationssystem produktiv gehen. Im Zuge der Projektplanung werden interne und externe Ressourcen so eingeplant, dass der Starttermin gehalten werden kann. In gut betreuten Projekten gibt es regelmäßige Besprechungen eines Lenkungsausschusses, in denen über die noch ausstehenden Schritte zur Zielerreichung informiert wird und auch über potenzielle Risiken gesprochen wird. In allen Projekten gibt es derartige Risiken. Als Trusted Advisor stelle ich sicher, dass diese Informationen den Lenkungsausschuss stets ungefiltert erreichen (Manchmal hat der Projektleiter ein Interesse daran, das Projekt in einem besseren oder schlechteren Licht erscheinen zu lassen als es der Realität entspricht).
Der angestrebte und kommunizierte Zieltermin hat dabei eine erhebliche Bindungswirkung. Nur weil der neue Berliner Hauptbahnhof zur Fußball-WM 2006 fertig werden musste, wurde er fertig, wenn auch mit unvollständigem Dach. Für den Berliner Flughafen, ein vergleichsweise anspruchsloses Projekt, steht auch sechs Jahre (!) nach der angestrebten Eröffnung noch immer kein neuer Termin fest. Daher weiß jeder Projektbeteiligte, dass er sich beliebig viel Zeit lassen kann.
Deswegen muss ein Starttermin kommuniziert werden und es sollte soweit irgend möglich auch an ihm festgehalten werden. Verheerend für die Stimmung im Projekt wäre eine langfristige Vorankündigung, dass der Starttermin “sowieso” verschoben wird. Prompt wird sich niemand mehr beeilen, kritische Fragen zu entscheiden, die erforderlichen Konzepte abzuschließen und das notwendige zusätzliche Engagement zu entfalten. Falls es kritisch wird, sollte in angemessener Zeit vor dem geplanten Starttermin durch den Projektleiter zusammengetragen werden, was zwingend erforderlich ist, um den Starttermin noch halten zu können. Teilweise kann mit Workarounds gearbeitet werden, gelegentlich sind auch Teilinbetriebnahmen möglich. Vorab muß eine klare Einschätzung erfolgen, ob die unabdingbaren Voraussetzungen zum Start geschaffen werden können oder nicht. Nur wenn feststeht, dass wesentliche Bedingungen in der verbleibenden Zeit nicht mehr zu erfüllen sind, dann ist der Starttermin um eine genau definierte Zeit zu verschieben. Die Verschiebung und die Gründe dafür sind umfassend zu kommunizieren.
Häufig jedoch gelingt es, den Starttermin zu halten. Auch wenn der Start gelegentlich holprig erfolgt, hat dies einen unschätzbaren Vorteil: Alle noch verbliebenen Unzulänglichkeiten zeigen sich jetzt und können bearbeitet werden. Bis zum Produktivstart kann niemand diese Unzulänglichkeiten wirklich gut einschätzen. Daher lautet mein Rat, wenn irgend möglich, den geplanten Starttermin auch zu realisieren und unmittelbar danach in eine sehr intensive Phase der Optimierung des Produktivbetriebs einzutreten, um die Workarounds möglichst schnell eliminieren zu können.